Ist das Seelische ein zusätzliches Organ?

Wir können im Seelischen ein Geschehen sehen, das übergreifend und nicht nur im unmittelbar menschlichen Bereich sein Erscheinen hat. Die Psychologie von heute geht allerdings kaum darauf ein. Vielmehr wendet sie sich über die eine oder andere Modellvorstellung ihren Phänomenen des Erlebens und Verhaltens zu. Das geschieht z.B. über das Instanzenmodell (in der klassischen Psychoanalyse) oder allgemeiner dort auch über das Bild von einem "Seelischen Apparat". Solche und ähnliche Konstrukte ersparen es der Psychologie, letzte Erklärungen anbieten zu müssen und bestätigen sie in der Haltung einer Wissenschaft. Im Ganzen bleibt die Psychologie aber von der Vorstellung bestimmt, dass es sich mit dem Seelischen wie mit einem zusätzlichen und besonderen menschlichen "Organ" verhalte. Erst wenn dieser Kniff gesehen wird, kann die Psychologie sich in einer Krise für den schwierigeren Weg entscheiden und sich auf das Bild eines Geschehenskomplexes einlassen, in dessen Mittelpunkt das Gleichnishafte steht. Für einen solchen Wandel wirbt der vorliegende Beitrag und zeigt wie man dabei auch das Ereignis des Erlebens und die Bedeutung des Atmosphärischen besser verstehen kann.

Die Natur des Seelischen neu verstanden

Werner Mikus

Seelisches von seiner Funktion her gedacht

Wie gehen wir mit dem Seelischen in der Wissenschaft, aber auch in unserem Alltag um? Nehmen wir als Beispiel eine bestimmte Befindlichkeit, z.B. die Vorfreude auf ein anstehendes Ereignis. Wir werden die Vorfreude als die Ausdrucksbildung eines Seelischen nehmen, das wie ein zum Menschen gehörendes „Organ“ einen strukturellen Beitrag zum Gesamtgeschehen leistet (Freud z.B. sprach von einem „Seelischen Apparat“, der das Geschehen organisiert). Dieses besondere Organ, und davon gehen wir aus, ist dazu da, ebenso wie die körperlichen Organe des Menschen, wichtige Dienste zur Erhaltung und Entwicklung unseres menschlichen Daseins zu leisten. Die besonderen Leistungen bestehen in diesem Fall darin, eine Beziehung zu den Mitmenschen herzustellen und zu der Welt in der wir leben ganz allgemein. Es hilft Situationen einzuschätzen und die Interessen sowohl des körperlichen als auch des persönlichen Seins zu vertreten, sowie eine entsprechende persönliche Einheit zu entwickeln. Es ermöglicht dem Menschen, Probehandlungen in Form eines Denkens durchzuführen und Zwecksetzungen sowie Motivationen aufzubauen. Wie jedes andere Organ kann auch dieses krank werden. Wir können es analysieren, auf sein Funktionieren hin überprüfen, und danach forschen, was ihm mehr oder weniger guttut. Dieser so verstandene Begriff von Psyche ist nirgendwo als Definition, jedenfalls nicht in dieser Deutlichkeit zu finden, er beschreibt aber sehr gut, wie wir mit dem Seelischen umgehen, auch wenn wir davon meistens nichts wissen.

Seelisches von seiner Natur her gedacht

Im Gegensatz zu diesem Verständnis vom Seelischen lässt sich auch ein anderes Verstehen von Psyche beobachten, das sich in den letzten Jahren parallel hierzu entwickelt hat. Hier wird das Seelische als ein Geschehenskomplex verstanden, in welchem die Qualität des Gleichnishaften das Sagen hat. Es handelt sich dabei um eine Eigenschaft, die wir überall vorfinden und nicht nur in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Menschen. Das Gleichnishafte hat Ereignischarakter, es ist nicht wie eine feste Einrichtung analog eines Organs in der Welt. Es findet in Wiederholung und durchgehend statt und das nicht ohne Regel. Die Natur des Seelischen studieren heißt dann, die Natur der Gleichnishaftigkeit erforschen und von ihrem Wesen her beginnen wir das Seelische zu verstehen. Eine Geschichte, welche bestimmte Ereignisse in ein Bild zusammenbringt (z.B. die Vorbereitung für eine Geburtstagsüberraschung) setzt einen Prozess in Gang, den wir als einen seelischen wahrnehmen. Das tun wir aber, ohne uns darüber Gedanken zu machen, wie und ob sich überhaupt ein solcher Prozess, der sich aus vielen Personen und Dingen zusammensetzt, von einem Seelischen her ableiten lässt, was sich an dem einfachen Bild eines menschlichen Organs orientiert. Wir sehen diesen Prozess intuitiv als einen seelischen an, weil in seinem Mittepunkt klar und deutlich erlebbare Zusammenhänge stehen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Wirklichkeit erlebbar verfasst ist, und sie dementsprechend beschreiben, gehen wir in einem ersten Schritt auf das neue Bild vom Seelischen mit seiner besonderen Natur der Gleichnishaftigkeit zu.

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