Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Die Welt hat sich verändert, mit einem Schlag. Die politische Atmosphäre in ihr ist spürbar eine andere geworden und das wohl unumkehrbar. Die Weltgemeinschaft hat es mit dem Abwehrkampf eines untergehenden Geschäftsführungsmodells zu tun, was sich mit militärischen Mitteln und Erpressungen wie in einem letzten Kampf gegen ein Versagen desselben aufbäumt und dabei skrupellos vorgeht. Das Märchen "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" macht in diesem Zusammenhang vieles klar.

Weltgemeinschaft und Ukrainekrieg
Werner Mikus

Im Märchen versucht jemand vergeblich, das Fürchten zu lernen. Aber das Märchen macht sich über diesen Versuch lustig und will zeigen, dass es dem Protagonisten mit seinem merkwürdigen Wunsch doch am Ende um etwas Anderes geht oder zu gehen habe: Er möchte jemand sein, der im Wissen um die jeweilige Gefahr mit Mut auf das Bedrohliche zugeht und das heißt: weder ungerührt wie ein Automat noch verbogen wie sein erfolgreicher und hochangesehener Bruder, der nachts nicht über den Friedhof zu gehen vermag.
Das Besondere eines Mutig-Seins kann er nicht wie versucht erlernen, also nicht durch ein beweisführendes Antreten gegen alle möglichen Bedrohlichkeiten der Welt. Mutig wird er erst, nachdem er seinen bisherigen Weg aufgegeben und sein Schicksal mit dem eines anderen Menschen eng verbunden hat (bis dass der Tod euch scheidet). Erst in einer solchen Bindung stellt sich für ihn das ein, wofür das von ihm so überschätzte Fürchten steht und was ihm am Ende als ein Gruseln nahe- und unter die Haut geht. Im Märchen erfährt der Furchtlose das, was ihm doch immer gefehlt hatte erst in dem Augenblick, als seine Frau ihn mit einem Bottich voll Wasser und zappelnden Gründlingen aus dem Schlaf gerissen hat und diesem das Gruseln kommt.

Gefahren bannen oder in Fühlung gehen

Wie sieht das Umgehen der Weltgemeinschaft mit einer Bedrohung aus, die sich in der weltpolitischen Landschaft mit längerem Vorlauf entwickelt hat? Die beiden Söhne im Märchen, die ein unterschiedliches Verhältnis zur Angst haben, bieten sich dazu an, über zwei mögliche Methoden des Umgangs mit Bedrohlichkeiten nachzudenken, und zwar ganz allgemein und weltpolitisch konkret. Der eine Sohn wird als jemand geschildert, der sich in alles wohl schickt und nach der Devise lebt: früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. Er ist erfolgreich auf vielen Ebenen, aber hat Angst, nachts alleine über den Friedhof zu gehen. Der andere Sohn, dem das Märchen den Namen verdankt, ist jemand, der nicht sehr anstellig ist, nicht weiß, was er will und wer er ist, der sich aber auf seine Art vor nichts und Niemandem fürchtet.

Im Märchen sind die Bedrohlichkeiten handfester Natur (boshafte Geister z.B.) oder von ganz lächerlicher Art (Angst im Friedhofsdunkel). Weltpolitisch gibt es eine Bedrohungslage, auf die ich diese beiden Methoden im Folgenden beziehen möchte. Den beiden im Märchen dargestellten Methoden ist etwas gemeinsam: sie bannen das Bedrohliche und führen dazu, sich nicht genau mit den Bedrohlichkeiten auseinanderzusetzen und sich davon berühren zu lassen.
Deshalb darf unser Übertragungsversuch des Märchens auf die politischen Verhältnisse nicht den gleichen Weg einer Probleme bannenden Verkürzung gehen. Der Versuch verlangt vielmehr, dass wir uns im Vorhinein schon ganz genau das Bedrohliche anschauen. Und zwar eingedenk dessen, dass wir dabei ganz ungewollt vielleicht selbst ins Fürchten oder Gruseln geraten.

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