Ist das Seelische ein zusätzliches Organ?

Wir können im Seelischen ein Geschehen sehen, das übergreifend und nicht nur im unmittelbar menschlichen Bereich sein Erscheinen hat. Die Psychologie von heute geht allerdings kaum darauf ein. Vielmehr wendet sie sich über die eine oder andere Modellvorstellung ihren Phänomenen des Erlebens und Verhaltens zu. Das geschieht z.B. über das Instanzenmodell (in der klassischen Psychoanalyse) oder allgemeiner dort auch über das Bild von einem "Seelischen Apparat". Solche und ähnliche Konstrukte ersparen es der Psychologie, letzte Erklärungen anbieten zu müssen und bestätigen sie in der Haltung einer Wissenschaft. Im Ganzen bleibt die Psychologie aber von der Vorstellung bestimmt, dass es sich mit dem Seelischen wie mit einem zusätzlichen und besonderen menschlichen "Organ" verhalte. Erst wenn dieser Kniff gesehen wird, kann die Psychologie sich in einer Krise für den schwierigeren Weg entscheiden und sich auf das Bild eines Geschehenskomplexes einlassen, in dessen Mittelpunkt das Gleichnishafte steht. Für einen solchen Wandel wirbt der vorliegende Beitrag und zeigt wie man dabei auch das Ereignis des Erlebens und die Bedeutung des Atmosphärischen besser verstehen kann.

Die Natur des Seelischen neu verstanden

Werner Mikus

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Die Bedeutung des Atmosphärischen

Die Behandlung und das Verstehen der potenziellen Zusammenhänge findet eine besondere Herausforderung in dem Geschehen des Atmosphärischen, das wir immer und überall beobachten können. Hier sind die Geschichten in einer vielfach verschränkten Weise miteinander am Werk. Es ist eine besondere Herausforderung, die Potenziale in ihren Entwicklungen und Übergängen zu analysieren. Hierauf ist die Psychologie des Atmosphärischen aufgebaut, so wie wir sie im Konzept der bildanalytischen Psychologie finden. Hier geht man davon aus, dass die Wirklichkeit erlebbar verfasst ist und dass wir immer und überall erlebbare Zusammenhänge als zutreffende Beschreibungen der Wirklichkeit finden können. Obwohl diese Zusammenhänge im Wesentlichen eine Potenzialität darstellen und nur nach bestimmten Regeln in ein manifestes Verhalten und Erleben übergehen, bestimmen sie doch entscheidend das Geschehen mit. Wir müssen daher ein ganz bestimmtes methodisches Umgehen mit dem Seelischen entwickeln. In den psychischen Prozessen sind die potenziellen, sprich die erlebbaren Zusammenhänge, mit den ganz konkreten Ereignissen des Erlebens und Verhaltens in eins gebracht.

Das Problem der doppelten Natur des Seelischen, so wie sie im Gleichnishaften begründet liegt, findet in der Begrifflichkeit des Atmosphärischen eine Fassung mit der sich weitere wichtige Zusammenhänge erschließen lassen. Kurz: Es gibt ein Wirken erlebbarer Zusammenhänge, das seinen Schwerpunkt in dem Potenziellen hat und mit dem wir sprachlich angemessen umgehen müssen. Wenn wir die Schwebezustände von Entwicklungen nicht aushalten, sondern sie bewertend über unsere Gefühle an irgendeinem Punkt vorschnell festmachen wollen, zerstören wir möglicher Weise die Entwicklung auf eine Ausdrucksbildung hin, die den Schlüssel für einen bestimmten Zusammenhang in sich birgt. Wir müssen deshalb Beschreibungen finden, die bestimmte Entscheidungen offenlassen, aber dennoch das zentrale Geschehen in ein Bild bringen. Das sind meist komplexe Geschichten aus der Literatur z.B. der Märchen, Mythen und Sagen. Wir müssen mit der Sache in Fühlung gehen, statt Gefühle auszuprobieren, die eine Sache um jeden Preis emotional in die Enge bringen und zu bewerten versuchen. Eine angemessen rahmende Gefühlsgeschichte muss uns den Spielraum geben, den erlebbaren Zusammenhängen, die eine Mitbeteiligung in der Sache haben, gerecht zu werden.

In eigener Sache

Mit der Ausbildung zum Entwicklungstherapeuten hat die Bildanalytische Psychologie vor mehr als 30 Jahren einen Ort geschaffen, an dem ein Denken von diesem Bild des Seelischen aus erprobt und eingeübt werden kann. Die Gleichnishaftigkeit steht hier im Mittelpunkt des Verstehens seelischer Wirklichkeit. Dabei konnten in den letzten Jahren einige Entdeckungen gemacht werden, die von dem Bild eines seelischen Organs her wahrscheinlich nicht zu finden gewesen wären. Dazu dann mehr, in einem nachfolgenden Beitrag.

Bildquellen

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